Ehrenfried Frank und Christian Wulle

Ausstellung in der ehemaligen Schloss-Ökonomie Gern/Eggenfelden 1998

Einführung: Prof. Eugen Gomringer

Meine Damen und Herren,

in einem Briefwechsel zur Einstimmung auf diese Ausstellung hat mir Christian Wulle,
der ein theoretischer Kopf ist, geschrieben, daß die beiden Ausdrucksweisen in ihrer Unterschiedlichkeit,
also die seines Kollegen, als Anliegen sich ähnlich seien. Ich teile diese Ansicht durchaus, obgleich man auch zugeben muß, dass zwei der Bilder in unmittelbarer Nachbarschaft gesehen, an äußerlicher Ähnlichkeit nichts gemeinsam aufzuweisen haben. Ja, es fragt sich, ob ein Befürworter der einen oder der anderen Malweise und damit auch der einen oder anderen Kunst sich bereit erklären kann, die beiden Künstler
sozusagen in eine gemeinsame Betrachtung einzubinden.

- Nun hat Christian Wulle auch darin recht, wenn er die beiden unterschiedlichen Ausdrucksweisen als Programmhaltungen für die beiden Wesentlichen des Jahrhunderts hält.

Wer konstruktive Kunst nicht nur für eine ganz authentische Kunst des Jahrhunderts hält,
sondern ihr auch den alleinigen Anspruch als Kunst des Jahrhunderts zusprechen will, liegt nicht richtig.
Ich meine schon deshalb nicht, weil Kunst sehr schwierig zu definieren ist,
weil sie mit lebendigen Menschen zusammenhängt,
weil die Kunstgedanken Wandlungen unterliegen
und von verschiedenen Seiten beeinflussbar sind.

Der einzelne Künstler, der in der Regel ein auf sich allein gestellter Einzelkämpfer ist,
baut sich, vor allem so in der Jugend, seine Philosophie auf, grenzt sich ab,
um eine Überzeugung zu gewinnen, an der er sich halten kann.
So entstehen Individualrichtungen innerhalb großer Richtungen eines Jahrhunderts.
Der Künstler reflektiert jedoch mit der Zeit seine Kunsthaltung, er wandelt sich.
- Ich möchte damit nur sagen, dass es schon vom einzelnen Künstler aus gesehen,
schwierig ist und schwierig wird, seine Art als eine Ausschließliche im großen Konzert
anzuerkennen, so sehr er immer an sich glauben wird.
Weder die konstruktive Kunst, die an ihrem Beginn den neuen Menschen schaffen wollte,
die neue Gesellschaft und damit also ein großer Entwurf war,
noch die von der subjektiven, emotionalen Einzelschicht ausgehende
und damit die kollektive Bewegung, den großen Strom erfahrende gegensätzliche Kunst
- sie sind beide große und wesentliche Richtungen des Denkens und der praktischen Übung unserer Zeit.

Ist es also möglich, solche Gegensätze zu überbrücken und jeder Richtung, jeder Haltung entgegenzukommen? In der Tat läßt sich, was Christian Wulle als wesentliche Programmhaltungen
unseres Jahrhunderts sieht, rechtfertigen.
Die eine, zu welcher wir die Arbeiten von Christian Wulle zählen,
als die konstruktive, basiert auf metaphysisch - theosophischen Anschauungen,
wie sie im 19. Jahrhundert von Frau Blavatsky aufgegriffen und neu ausgeprägt wurden
und die zum Beispiel auch Kandinsky beeinflußten, wie aus seiner Schrift "Über das Geistige in der Kunst" hervorgeht. Ohne diese Vorgänge zu Beginn des Jahrhunderts hier auszubreiten,
lässt sich verkürzt feststellen, dass das Konstruktive linearen Charakter hat.

Es ist die Linie, die alles bewegt und begrenzt. Es ist dann insbesondere die konstruktive Linie, die kürzeste Verbindung zweier Punkte, die zur Grundlage einer Ästhetik und einer Lehre wird. Die Linie ist aber auch
wie ein Pfeil richtungsbewusst. Dass sich das konstruktiv - lineare einmal mehr, einmal weniger geometrisieren ließ, ist nur die Folge der Bildpraxis, des Bildaufbaues und des strukturalen Denkens.
Diese Lehre, diese Ästhetik hat zwar immer eine historische Stunde, aber im Grunde ist sie
eine Kraft des Denkens, die dem menschlichen Denken innewohnt.

Christian Wulle ist ein Beispiel, ein junges, kräftiges Beispiel für diesen dem menschlichen Denken zugehörigen linearen Bewegungsstil. Wer frühere Arbeiten von ihm kennt, weiß, dass er sich
in einer Art Läuterungsprozess immer deutlicher aus amorphen, informellen Darstellungsweisen
hin zu definierbaren Formen bewegte.
Seine farbigen Stäbe in den drei Grundfarben Rot, Gelb und Blau, mit dem zusätzlichen Schwarz und Weiß haben linearen Charakter und sie sind eindeutig gerichtet, und zwar von links unten nach rechts oben,
das heißt in aufstrebender Richtung, die ohne weiteres als jugendlich, aufstrebend, positiv gedeutet werden kann. Diese Stäbe können vorfabriziert werden, um dann im Moment der Intuition zur Verfügung zu stehen.

Aber auch Farbfelder anstelle der Stäbe sind exakt formuliert.
Christian Wulle ist ein Künstler aus der großen Familie der Konstruktivisten.
Der Konstruktivismus ist eine Philosophie, die heute, weil sie zum
konstruktiven Weltentwurf im Kopf, zur Wahrnehmung und
zur Computerarbeit reicht, aktuell ist.
Die Diskussion über solche Weiterungen sollte jedoch nicht den Betrachter einzelner Werke davon abhalten, den Genuss zu haben, den die Bilder und Reliefs von Wulle besitzen, ihre Bewegung, den Fluss und die Nachbarschaftsprobleme der Farben, nicht mit aller Intensität auf sich wirken zu lassen.


Und Ehrenfried Frank?
Er spricht in einem vorbildlichem Text von der engen Geistesverwandtschaft, die zwischen
den beiden Freunden bestehe. Ich kann nur kurz wiederholen, wie er seine Arbeit selbst sieht.
Der wichtigste Ausgangspunkt scheint mir der zu sein, dass seine Arbeit in
der Betrachtung der Landschaft gründet.
Was aber ist Landschaft heute? Ist es die aktuelle Landschaft? Ist es die parzellierte und von Brüsseler Entscheidungen abhängige Landschaft der Landwirte? Ist es die alte Landschaft, die Ewige, die bis vor wenigen Jahrhunderten gar nicht als so schön empfunden wurde wie dann später in der Romantik?
Die Landschaft war ja lange Zeit schrecklich, dämonisch.

Ich denke, dass Ehrenfried Frank durch die moderne Landschaft hindurchsieht und festhält, wie in unserem Denken Landschaft sein könnte. - Ich habe es zum Beispiel erlebt, wie der Ausbau der Autobahn A9 von Berlin nach München im Abschnitt Oberfranken, die Landschaft in wenigen Jahren so verändern konnte, dass man als Einheimischer fast nicht mehr weiß, wo man jetzt gerade fährt.
Oder die neuen Stauwerke in China?
- Wir leben in der Zeit der großen Eingriffe in die Landschaft. Ich muss also ein Fragezeichen setzen, wenn die Landschaft als solche betrachtet wird. Ich unterstelle aber, dass Ehrenfried Frank sein Landschaftsbild nicht nur wahrnimmt, sondern eben, wie gesagt, auch als Denklandschaft bewertet; er teilt diese Sicht mit nicht wenigen Künstlern und ist damit einer zeitgemäßen Wahrnehmungsphilosophie auf der Spur.
Dann aber ist es ebensosehr bzw. hauptsächlich die Farbe, die er seiner eigenen kräftigen Erscheinung gemäß als Material einsetzt. Die Landschaft ist als große Bewegung anwesend, aber es ist die Farbe, welche die Landschaft nun herstellt oder an die Landschaft erinnert. Es ist auch die Gewalt der Bewegung der Materialmasse, die nur als geistigen Akt zu begreifen ist, welche mich beeindruckt. Es ist ein Ringen, das wir Betrachter fast unvermittelt miterleben. Die Farbe wird dann auch in einem Akt, in einem Malvorgang aufgetragen. Dabei entstehen aber auch Feinheiten, feine Strukturen durch die Haare des Pinsels oder es entstehen durch das Aufwerfen der Farbe mehrfarbige Schlieren.

Frank sagt es in einem großartigen Satz:
"Das Material arbeitet. Es ist gleichberechtigt mit meinem Gestaltungswillen."
Und er sagt: "Der Anlass wird unbedeutend, die Farbe als Material zählt. Die Farbe ist das Bild."

Alle diese Aussagen sind ästhetisch von Bedeutung. Vor wenigen Jahrzehnten formulierte der Schweizer Richard Paul Lohse, einer der großen Künstler der 2.Generation der Konstruktivisten, den Satz:
"Die Methode macht das Bild." Das heißt, das Bild wurde nach einem Programm konzipiert und durchgeführt. Alles hatte sich der gewählten Methode unterzuordnen. Frank hat auch ein Konzept, ja sogar eine Art Programm, aber er überantwortet das Bild der Farbe.

Gehen wir also den beiden Positionen auf den Grund, spreizt sich tatsächlich die Schere des Unterschiedes zwischen den beiden Künstlern und ihrer Kunst nach der Entscheidung ihrer Mittel und deren Anwendung. Was für den Betrachter unvereinbar erscheint, hat gleichzeitig in einem Gehirn Platz.
Da sind sowohl die Gefühle, die Emotionen wie die Verstandeskräfte, die reinen Ordnungskräfte gemeinsam enthalten. Wir haben sie beide, - und natürlich noch einiges mehr, im Kopf (und nicht etwa die Gefühle im Bauch). Wir sollten das umso besser verstehen, als wir im Jahrzehnt des Gehirns stehen.
Für viele Künstler waren und sind solche gegensätzlichen Erscheinungen,
wie sie Wulle und Frank uns vorstellen, sehr willkommen.
Gerade strenge konkrete Künstler suchten immer wieder emotionale Partner in der Kunst;
sie sahen oder sehen in der Gegensätzlichkeit die Konturen des einen wie des anderen besser gewahrt als unter Ihresgleichen. Es sind dann zwei Möglichkeiten, die sich ergänzen. Wir haben in einer solchen Ausstellung die Chance der Selbstfindung, eventuell der Selbstbehauptung und überdies die Gelegenheit, Ursprüngen der Kunst, dem Funktionieren der Kunst ganz nahe zu kommen.

[Prof. Eugen Gomringer in Gern/Eggenfelden, am 13.02.1998]

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